Vielleicht kennst Du das auch, dass Dir eine Pflanze immer wieder in unterschiedlicher Art und Weise begegnet?! So ging es mir mit der Tollkirsche. Die erste, bewusste Begegnung, hatte ich über die Homöopathie: Belladonna ist wohl eines der bekanntesten homöopathischen Mittel, vor allem bei Müttern ist es ein bewährtes Helferlein bei akuten Schmerzen und Fieber, was ja bei Kindern bekanntlich des Öfteren vorkommen kann...;-) Auch in unserem Haushalt tat sie hier gute Dienste.
Vor einigen Jahren bekam ich von einem Pflanzenfreund eine Tollkirsche für meinen Garten geschenkt. Nach zwei Jahren hatte sie sich gut eingelebt und war zu einem kleinen Busch herangewachsen. Nun wollte ich die Wirkung dieser Pflanze - den Homöopathen nachempfunden - für mich austesten. Also nahm ich ein winziges Stück eines Blattes und aß es. Nichts passierte. Am nächsten Tag nahm ich ein etwas größeres Stück. Auch hier blieb eine Reaktion aus. Am dritten Tag nahm ich nochmals ein Stückchen und… nach einer halben Stunde merkte ich ein Kratzen im Hals, was sich im Laufe des Nachmittags zu leichten Halsschmerzen verdichtete.
Ich fühlte mich beinahe wie ein Entdecker: so musste es den Homöopathen der ersten Stunde ergangen sein, als sie sich Schritt für Schritt den Heilwirkungen von u. a. giftigen Pflanzen (an)näherten.
Die Tollkirsche in freier Natur zu finden ist nicht ganz so einfach. Sie ist nicht besonders anspruchsvoll und kann auch auf kargeren Böden gedeihen. Jedoch ist sie hier im Süden Deutschlands nur stellenweise anzutreffen. Ich habe die erste wild wachsende Tollkirsche in Österreich im Kleinwalsertal auf einer Wanderung entdeckt.
Nachdem wir einen geeigneten Rastplatz gefunden hatten setzte ich mich ins weiche Gras. Genüsslich aß ich einen Apfel, zupfte immer wieder als schmackhafte Ergänzung ein paar Kräutlein dazu ab und genoss den schönen Ausblick. Als ich nach dem Essen aufstand und mich umdrehte fiel mein Blick auf eine große, schwarze Beere, die an einem 1,5 m hohen Strauch hing. Zuvor hatte ich sie geflissentlich übersehen. Aber die schwarze Beere und die Blüten, welche ebenfalls noch vereinzelt am Strauch hingen, ließen keinen Zweifel aufkommen: hier stand die Schwarze Tollkirsche in ihrer ganzen Pracht vor mir!
In Österreich und in der Schweiz ist sie übrigens häufiger anzutreffen, deshalb konnten meine Mitwanderer meine Begeisterung und Erstaunen nicht ganz nachvollziehen…;-)
Die Tollkirsche ist ja bekannterweise giftig. Je nach Pflanze können jedoch kleine Mengen von manchen giftigen Gewächsen eingenommen werden, natürlich abhängig vom Körpergewicht der Person und dem Gesundheitszustand. Ich empfinde die Beeren eher als süß und nur leicht bitter. Auch bleibt das Taubheitsgefühl im Mund aus, von welchen manche Menschen berichten.
Zurück im heimischen Garten besuchte ich ‚meine‘ Tollkirsche. Ich hatte das Gefühl, dass ich mehr über diese Pflanze in Erfahrung bringen wollte. Es gibt genügend Literatur zur Namensgebung und Heilwirkung. Nun wollte ich aber zu eigenen Eindrücken und Empfindungen gelangen: ich schloss die Augen und atmete in meine Brust, mein Herz.
Ich baute vor meinem inneren Auge eine Lichtbrücke bis hin zur Tollkirsche. Verschiedene Gedanken und Gefühle kamen in mir auf. Ich fühlte mich seltsam zu ihr hingezogen, merkte aber auch gleichzeitig eine Vorsicht und großen Respekt. Dies erinnerte mich an meine Kindheit, denn alles was geheimnisvoll und nicht ganz greifbar war übte eine große Faszination auf mich aus. Noch heute liebe ich Märchen und Fantasiegeschichten, verliere mich gerne mal in Gedankenträumen und Bildfantasien. Einfach himmlisch!
In den letzten Wochen schaute ich immer wieder im Internet, welche Pflanze dieses Jahr zur Giftpflanze 2020 gewählt wurde. Und, welch’ Freude, diese Jahr ist es die Schwarze Tollkirsche! Vielleicht hat diese Pflanze auch die Entscheidungsträger in ihren Bann gezogen und die gleiche Wirkung wie bei mir verursacht. Denn wer möchte nicht diese süß-bitteren Erinnerungen an verträumte Kindertage wieder aufleben lassen!?