Blutwurz - die Mächtige

Wenn auf ein Wildkraut der Begriff 'Klein aber oho' zutrifft, dann ist es sicher die Blutwurz! Die Blutwurz trägt diese Bezeichnung sogar in ihrem botanischen Namen 'Potentilla' ganz offen zur Schau: 'Potentia' stammt aus dem Lateinischen und bedeutet 'die Mächtige'.

 

Ihre Heilkräfte hat die Blutwurz vor allem in ihrer dicken, braunen Wurzel gebündelt. Wenn man die Wurzel anschneidet, läuft die Schnittstelle blutrot an. Der Wurzelstock der Blutwurz wird im späten Herbst oder im zeitigen Frühjahr geerntet. Jetzt wäre also die perfekte Zeit!


Bei der Blutwurz – vielen auch unter dem Namen 'Tormentill' bekannt – lohnt sich ein Blick in die geschichtsträchtigen Heilpflanzenbücher:

Im Lorscher Arzneibuch, dem ältesten Buch der Klosterheilkunde in Deutschland (8. Jh. n. Chr.), wird die Blutwurz in Rezepturen zu Zahnfleischentzündungen, Zahnschmerzen, Lungenerkrankungen und Halsbräune aufgeführt. Halsbräune ist die frühere Bezeichnung der Diphtherie, eine durch Bakterien ausgelöste Infektionskrankheit. Die Bakterien verursachen einen braun-gräulichen Belag auf den Mandeln, daher der Name Halsbräune oder auch Bräune. 

Ortolf vom Baierland, ein Arzt aus Würzburg, hat um 1300 die Blutwurz bei Darmerkrankungen verwendet. Er beschreibt sie als entzündungshemmend und reizmildernd. Auch Hildegard von Bingen beschreibt die Blutwurz als probates Mittel bei Darmproblemen.

 

Durch das Verfärben der Wurzel beim Anschneiden galt die Blutwurz gemäß der  Signaturenlehre des Mittelalters als hilfreich bei Blutungen. Nach heutigen wissenschaftlichen Studien ist die Wirksamkeit der Blutwurz als ent-zündungshemmend nachgewiesen. Hierfür verantwortlich ist u. a. der hohe Gehalt an Gerbstoffen; diese wirken zusammenziehend sowie desinfizierend. Die Blutwurz lässt sich demzufolge gut bei Verletzungen, Bakterien sowie bei (Schleimhaut-) Entzündungen und Durchfall verwenden.


Bevorzugte Einnahme der Blutwurz ist ein Auszug aus der Wurzel oder ein Teeaufguss – beides kann sowohl innerlich als auch äußerlich angewandt werden. Besonders beeindruckend beim Alkoholauszug ist, dass dieser nach Einlegen der Pflanzenteile augenblicklich eine tiefrote Farbe annimmt.

Die empfohlene Tagesdosierung für Erwachsene und Kinder ab zwölf Jahren beträgt dreimal täglich 1 Teelöffel (ca. 1,5 g) der getrockneten Wurzel als Tee oder 20 Tropfen der Tinktur verdünnt in einem halben Glas Wasser.

 

In verschiedenen Regionen ist es Tradition, einen Blutwurzschnaps oder Blutwurzlikör als Digestif oder Aperitif zu trinken. So ist das Genussmittel zugleich auch das Heilmittel.

 

Die Blutwurz gehört zur großen Familie der Rosengewächse, die nicht nur unsere heimischen Obstbäume und -sträucher mit einschließt, sondern auch viele bekannte Heilkräuter. Dies sind u. a. das Kriechende Fingerkraut, der Frauenmantel, der Odermennig, das Gänsefingerkraut, das Mädesüß und natürlich die Blutwurz.

Bemerkenswert ist, dass die allermeisten Rosengewächse fünf Kronblätter (Blütenblätter) aufweisen – jedoch nicht die Blutwurz: Sie ist mit ihren vier Kronblättern eine wirkliche Ausnahmeerscheinung.

Die Blutwurz ist eine filigrane Pflanze. Sie wird meist gerade einmal 20 cm groß. Dennoch ist sie in Höhen bis zu 2500 m zu finden – von den Alpen bis in die Bergregionen Zentralasiens. Vereinzelt trifft man 'die Mächtige' auch in Tälern, allerdings bevorzugt auf Magerböden.

 

Der Studienkreis 'Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde' hat die Blutwurz zur Arzneipflanze des Jahres 2024 gekürt. Ich würde sagen, das ist die passende Würdigung einer Heilpflanze, die trotz ihres kleinen Wuchses ihren Siegeszug bereits vor einigen Tausend Jahren als anerkanntes und geschätztes Heilkraut angetreten hat!