Die Faszination an der Eberesche begann schon in meiner Kindheit: sie hatte für mich nicht diese mächtige, beeindruckende aber manchmal jedoch auch furchteinflößende Gestalt (Stamm) einer Eiche, die ich mit meinen Kinderarmen nicht umfassen konnte.
Ganz anders die Eberesche: Ich umschlang sie mit meinen kurzen Kinderarmen und legte meine Wange an ihre feine, glatte Rinde. So standen wir, Wange an Wange, und ich sah nach oben und ihre gefiederten, schlanken Blätter winkten mir entgegen.
Die Eberesche ist ein eher zierlicher, schlanker Baum, der im wilden Dickicht des Waldes leicht übersehen wird. Nur im Herbst, wenn die kleinen, orange-roten Früchte der Eberesche im Grün des Waldes leuchten, wird sie von vielen erst bewusst wahrgenommen.
Beim Stöbern in Büchern und alten Niederschriften ist sie jedoch so präsent und gewichtig wie die Eiche. Die Eiche wurde bei den Germanen aufgrund ihrer Kraft und Stärke dem besonders mächtigen Gewittergott Thor, auch Donar, zugesprochen. Das gleiche Prädikat erhielt die Eberesche. Denn in der Göttersage Edda wird berichtet, dass die Eberesche Thor das Leben rettete. Thor stürzte während einer Jagd in einen Fluss und konnte mit letzter Kraft einen Zweig fassen, welcher ihn vor dem Ertrinken rettete.
Es war ein Ebereschenzweig, und so erlangte sie großen Ruhm. Zu Recht, denn ihr Holz ist elastisch und zugleich von starkem Wuchs. In der griechischen Mythologie kämpfte ein Adler gegen Dämonen, um ein kostbares Trinkgefäß von Göttervater Zeus wieder zu erlangen. Bei diesem Kampf verlor der Adler einen Tropfen Blut, der auf die Erde niederfiel. Aus diesem Tropfen wuchs die Eberesche. Noch heute ist die Farbe des Blutes in ihren Früchten wieder zu finden, und ihre gefiederten Blätter ähneln den Federn des Adlers.
Weitere wundersame Geschichten gibt es von der Eberesche zu berichten. Ihre getrockneten Früchte, in einem Beutel am Körper getragen, sollen Schutz und Glück bringen. Ebereschenzweige aneinander geschlagen vertreiben angeblich böse Geister von Haus und Hof. In Volksbräuchen findet sie sich gleichfalls wieder, so z. B. beim Fest der Herbst-Tag-und-Nachtgleiche, bei welchem sie durch die Fülle der Beeren den Reichtum der Natur widerspiegelt. Diese orange-roten Beeren symbolisieren auch die Kraft des Feuers, das in den kommenden Monaten die Kälte vertreiben und die Stuben warmhalten soll.
Ihr Name ruft immer wieder Verwunderung und Verwirrung hervor. Was hat der Eber mit diesem Baum zu tun? Überhaupt nichts! Denn das Wort ‚Eber‘ entstammt dem Wort ›Aber‹ und bedeutet soviel wie ›anders‹ oder auch ›falsch‹. Wir finden dieses ›Aber‹ auch in Aberglauben, das ist also der andere oder falsche Glaube. So ist die Eberesche die falsche Esche, denn nur ihre Blattform bzw. Blattanordnung ähneln sich. Die richtige Esche ist ansonsten eine ganz andere Baumart, gehört zu den Ölbaumgewächsen, und wird auch deutlich größer als die Eberesche.
Die Eberesche wiederum ist mit dem Apfelbaum verwandt und gehört zur großen Familie der Rosengewächse. Wenn man ihre Beerenfrüchte genau betrachtet erkennt man die Form eines Miniaturapfels! Volkstümlich wird die Eberesche als Vogelbeere bezeichnet.
Dieser Name verrät sofort, wie die Vögel zu ihr stehen: sie lieben diese Früchte. Man sagt, dass die Singvögel sie besonders genießen. Anscheinend sollen sie nach dem Genuss von Vogelbeeren ausgesprochen lang und schön singen.
Interessanterweise werden die Vogelbeeren auch in der Volksheilkunde dementsprechend genutzt. Es heißt, dass Sänger und Redner die Früchte zu sich nehmen sollen, um die Stimmbänder geschmeidig zu halten. Die Beeren kommen immer wieder in Verruf, sie seien giftig und dürfen auf keinen Fall gegessen werden. Ich habe als Kind immer wieder von ihren Beeren genascht und mich gefreut, diese ›einfach so‹ pflücken zu dürfen, ohne einen Erwachsenen um Erlaubnis zu bitten. Heute weiß ich, dass ihre Beeren nicht giftig sind - eher das Gegenteil ist der Fall: sie sind reich an Vitamin C und Vitamin A sowie wertvollen sekundären Pflanzenstoffen.
In rohem Zustand besitzen sie allerdings viel Parasorbinsäure, welche abführend wirkt. Deshalb sollte man die Beeren erhitzen. Danach können sie unbedenklich gegessen bzw. als Tee getrunken werden. Und wenn man die ersten Fröste abwartet werden die Früchte süßer und können sogar zu Marmelade und Kompott verarbeitet werden.
So anspruchslos die Eberesche von ihrem Wesen her ist - denn sie hat keine besonderen Anforderungen an den Boden - so anspruchsvoll ist ihr Bezug zu anderen Waldbewohnern: ob Rehe, Hirsche, Füchse, Vögel, Schmetterlinge, Käfer und andere Insekten - die Eberesche ist eine beliebte Nahrungsquelle in der Tierwelt und ein wichtiger Partner im Gemeinschaftsgefüge Wald.
Wie also kommt es, dass ihr so wenig Beachtung geschenkt wird? Vielleicht ist dies einfach ein allgemeines Phänomen. Ich frage mich nämlich immer wieder, warum es mir nur ab und zu gelingt, die Umwelt bewusst wahrzunehmen und in ihr all die wundersamen Dinge zu sehen bzw. zu erkennen!
Zum Glück gibt es da unsere Pflanzen, die - wenn man sich auf sie einlässt - immer wieder neue Facetten aufzeigen und uns ins Hier und Jetzt bringen, um das Leben und die wundervolle Natur mit neuen Augen betrachten und bestaunen zu können - und damit auch den ein oder anderen magischen Moment zu erleben - oder auch ein Stück unbeschwerte Kindheit schenken! Danke!