Als ich mitbekommen hatte, dass die Einbeere von der Loki Schmidt Stiftung zur Blume des Jahres 2022 gewählt wurde, musste ich schmunzeln. Ist mir diese Pflanze doch erst seit 3 Jahren vertraut! Davor hatte ich sie noch nirgends erblickt. Erst als ich mich auf den Weg machte, ein für mich neues Waldgebiet zu erschließen, kreuzten sich unsere Wege.
Als Pflanzenfrau ist es beinahe unmöglich, einfach ‚nur‘ durch den Wald zu spazieren. Gibt es doch immer so viel zu sehen: die hoch aufragenden, eindrucksvollen Baumriesen, die vielfältigen und filigranen Moose und Flechten an Rinden und auf Steinen, Farne, und natürlich die Kräuter und Sträucher, die im halbschattigen Wald für sich auch einen Platz gefunden haben.
So ging ich durch dieses unbekannte Terrain und entdeckte viele, alte Freunde, die ich auch von anderen Spaziergängen her kannte. Ich war gerade dabei, in einen kleinen Weg einzubiegen, als mein Blick auf eine Pflanze fiel, die mich sofort innehalten ließ: so ein Kräutlein hatte ich noch nie gesehen!
Vier gleich große Blätter saßen da an einem Stängel, beinahe wie bei einem Kleeblatt, nur dass die vier Blätter Handteller groß waren - und in der Mitte schwebte eine ungewöhnliche Blüte. (Die Einbeere kann tatsächlich auch mal 'nur' drei oder gar fünf oder sechs Blätter haben. Ich selbst habe diese Sonderform noch nicht entdecken dürfen.)
Ich habe sie seither regelmäßig an diesem Standort besucht und folgendes über sie erfahren: die Einbeere blüht im Mai und Juni. Die Frucht erscheint ab Juli, an anderen Standorten habe ich auch im September noch Früchte entdeckt. Diese Frucht erinnert an eine Heidelbeere, allerdings ist sie lang nicht so wohlschmeckend und dazu noch saftlos. Sie ist der giftigste Teil der Pflanze. Da sie aber bei Weitem nicht so aromatisch wie eine Heidelbeere schmeckt ist die Gefahr der Verwechslung nicht gegeben.
Früher hat man Pflanzen, die ein ungewöhnliches Äußeres zeigen, Zauberkräfte zugesprochen. Diese Hexenpflanzen genossen großes Ansehen, aber auch eine gehörige Portion Respekt, da sie nur von fachkundigen Frauen verwendet werden durften. Wenn man in alten Büchern nach der Einbeere forscht wird tatsächlich die Zauberkraft dieser Pflanze immer wieder hervorgehoben. So solle sie in Kleider eingenäht gegen die Pest helfen. Außerdem solle sie Menschen, welche verzaubert oder von einem Fluch belegt wurden, wieder entzaubert werden können.
Bei unseren Vorfahren galt die Einbeere nicht nur als zauberkräftig, sondern auch als aphrodisierend, narkotisierend und berauschend. Außerdem nutzte die blühende Pflanze als dünner Tee oder als Tinktur bei Nervenschmerzen, Migräne, Schwindel und nervöse Herzbeschwerden.
Heutzutage spricht man von ihr als leicht bis stark giftig - die Meinungen gehen also weit auseinander. Die Empfehlungen sind deshalb, sie eher äußerlich, homöopathisch oder als Fertigpräparat zu verwenden.
Mich spricht der zauberhafte Aspekt dieser Pflanze besonders an, denn ihre Erscheinung hat etwas Erhabenes, Geheimnisvolles und Verführerisches. So fühle ich mich immer in ihren Bann gezogen. Und ich nehme mir immer ein wenig Zeit, um bei ihr zu verweilen. Sie schenkt mir Achtsamkeit, Frieden und bringt mich jedes Mal ein bisschen meinem inneren Kind näher, das immer noch mit großen Augen staunend in eine Welt voll ungeahnter Möglichkeiten schauen kann!