Wie groß war mein Erstaunen, als ich vor einigen Tagen im Internet die Meldung entdeckte: der Baum des Jahres 2020 ist die Robinie!
Nun muss ich dazu sagen, dass meine Reaktion darauf zurückzuführen ist, dass ich neuerdings Robinien als Nachbarn habe! Unser Garten liegt direkt an einem Naturschutzgebiet, in welchem sich die letzten Jahre Robinien stark vermehrten. Über Nutzung bzw. Belastung dieser 'invasiven' Baumart für unsere heimische Flora und Fauna habe ich deshalb in den letzten Monaten so einiges mitbekommen, erlebe also die hitzigen Diskussionen hautnah.
Ich begrüße deshalb die Wahl zum Baum des Jahres umso mehr, um sich mit dem Thema 'invasive Pflanzen' mehr und umfangreicher auseinanderzusetzen.
Wie kam die Robinie nach Europa? Vor rund 400 Jahren wurde sie als sogenannte Zierpflanze aus der neuen Welt, in dem Fall Nordamerika, mitgebracht. Es war Jean Robin (1550-1629), der diesem unbekannten Baum den Namen gab und die Robinie schließlich hoffähig machte. Jean Robin diente mehreren französischen Königen als Hofgärtner. Als studierter Botaniker - und Apotheker - war er in Pflanzenkunde bewandert und wurde schließlich von der Pariser Medizinfakultät beauftragt einen botanischen Garten anzulegen. Zwei der Robinien, die er in Paris pflanzen ließ, haben die Jahrhunderte überdauert und gelten heute als die ältesten Bäume der französischen Hauptstadt.
Durch ihren eleganten Wuchs, ihre zart gefiederten Blätter, die an eine Esche erinnern, und ihren stark duftenden, traubigen Blütenständen war sie schnell ein gern gesehener Gast in Gärten und Parkanlagen. Von dort aus war der Schritt in nahe gelegene Wälder nicht weit. Die Robinie ist als Pionierpflanze nämlich darauf spezialisiert, Neuland schnell und effektiv zu erschließen. Das ist auch in ihrer ursprünglichen Heimat, Nordamerika, ihre Aufgabe. Wenn dort durch Waldbrände oder Kahlschläge neues Land zu besiedeln gilt, fasst die Robinie schnell Fuß und wirkt u. a. Bodenerosionen vor. Nach einiger Zeit wird sie dort von anderen Baumarten, die höher wachsen und eine längere Lebensdauer haben, abgelöst. Die Robinie hat dann ihre Pflicht als 'Wegbereiterin' getan und sucht sich neues Land.
Auch in Europa könnte die Robinie Hand in Hand mit heimischen Baumarten kooperieren. Dies hängt jedoch entscheidend von den Standorten ab. Robinien sind besonders gut an trockene und karge Böden wie Magerrasen angepasst. Doch gerade auf diesen Böden haben heimische Pflanzen der schnell wachsenden und früh vermehrungsfähigen Robinie wenig entgegenzuhalten - das Ergebnis ist dann Verdrängung. Auf der anderen Seite hat aber genau diese Anpassung an karge Böden entscheidende Vorteile.
Mit den wiederholt heißen und trockenen Sommern hatte die Robinie wenig Probleme, gedeihte und vermehrte sich nach wie vor gut. Das sieht die Forstwirtschaft mit zunehmendem Interesse: Robinienholz ist äußerst widerstandsfähig, auch gegen Feuchtigkeit, gleichzeitig biegsam, zugleich aber auch fest und hart. Es lässt sich u. a. für Schiff- und Möbelbau, für Sportgeräte und auch die Landwirtschaft einsetzen. Robinienholz ist somit zur Alternative für die Verwendung von Tropenhölzern avanciert.
Nicht zu unterschätzen sind ihre zahlreichen und üppigen Blütenstände: im Frühsommer ist sie für Insekten, besonders Bienen, ein Schlaraffenland. Wegen dem hohen Zuckerwert ihrer Blüten werden Robinien gelegentlich von Imkern angepflanzt: Der 'Akazienhonig' ist also genauer gesagt ein Robinienhonig. Er hat eine helle, schwach gelbliche Farbe und ist flüssiger als der gewöhnliche Blütenhonig.
Im Spätsommer verpuppen sich die üppigen Blütenstände und hängen als 5 bis 12 cm lange Hülsen am Ast. 'Wie Bohnen', so denken sich viele. Das stimmt tatsächlich, denn die Robinie gehört zur Familie der Hülsenfrüchtler! Dies wirft die nächste Frage auf: wie bekömmlich ist die Robinie? Insgesamt gelten alle Pflanzenteile als schwach giftig bis giftig, was auf verschiedene Giftstoffe zurückzuführen ist. Ausnahme bilden die Blüten, welche auch in rohem Zustand genießbar sind. Möchte man sich anderer Pflanzenteile, wie z. B. Blätter, bedienen empfiehlt sich Abkochen. Die Schoten sollten jedoch nur in jungem Zustand verarbeitet werden. Was man auf jeden Fall beachten sollte: an den Zweigen der Robinie sitzen bis zu 2 cm lange Dornen. Achtsamkeit ist also im Umgang mit dieser speziellen Baumart besonders gefragt.
A apropos Achtsamkeit: das kommende Jahr wird also die Robinie besonders beachtet, sie rückt mehr in den Fokus, ins Bewusstsein der Menschen. Forstwirtschaft, Naturschützer, Imker, Gemeinden, Gartenbesitzer - alle haben ihre eigenen Sichtweisen, ihre eigenen Interessen, die für oder gegen die Robinie sprechen.
Interessant ist, dass es immer wieder Pflanzen gab, die als Bedrohung, als invasiv, angesehen wurden. Vor 200 Jahren kam das kleinblütige Knopfkraut, auch Franzosenkraut genannt, nach Deutschland. Eine Zeitlang hatte man Sorge, dass dieses heimische Kräuter verdrängen würde. Heutzutage ist das Franzosenkraut nur noch an einzelnen Standorten zu finden. Die anfängliche Angst vor einer Invasion hat sich nicht bewahrheitet.
Bleibt abzuwarten, wie die Entwicklung mit der Robinie sein wird. Meine Erfahrung ist, dass wir Menschen immer wieder massiv in das Gleichgewicht der Natur eingreifen. Aber früher oder später stellt sich das Gleichgewicht - auch ohne unser Zutun - wieder ein.
Ich wünsche uns allen ein friedliches Miteinander. Und dass wir uns mit offenem Herzen begegnen können!